Terror, Überwachung, Wissenschaft

Eine Terroranschlag in Europa, in Paris – und gesagt ist eigentlich schon alles. Alles, wirklich? Mein erster Reflex war sofort zu schreiben, aber außer auf Twitter, wo ich noch recht neu bin, fiel mir nichts ein. Dabei gäbe es durchaus einiges zu sagen zu dem Anschlag, zu Überwachung und zur Rolle der Wissenschaft.

In diesem Blog wird seit fast 10 Jahren über und zu Überwachung berichtet, kommentiert, analysiert und auch immer wieder kritisiert. Dabei haben wir den Staat als einen big player im immer Blick. Geheimdienste, neueste Maßnahmen der Speicherung und Erfassung unseres Lebens sind uns Erwähnund Kritik wert. Mein erster Reflex nach den Anschlägen war zu fragen, ob wir das auch weiterhin machen können, oder ob es nicht ganz andere Fragen zu klären gäbe. Nach ein paar Tagen muss ich feststellen: Nein! Und ja, andere Fragen sind auch zu klären, besonders wenn wir beim Thema Überwachung und Kontrolle bleiben wollen.

Forschung zu Überwachung sollte nicht nur verstanden werden, als die rechtliche Klärung von Datenschutz und die Bewertung von Gooles u.a. anderer Firmenpolitiken. Überwachungsforschung ist keine Technikfolgenabschätzung, war es nie, wurde aber so oft mißverstanden und teilweise auch so betrieben, mit der entsprechenden Empörungsrhetorik. Aber wenn man auch nach Paris ganz genau hinschaut, dann sind es mehrere, bei aller Trauer und kollektivem Schrecken (vor allem in der westlichen Welt), leicht zu übersehende Reaktionen, die zeigen, dass die Wissenschaft mehr als bisher in diesem Themenfeld neue Akzente setzen muss. Präsident Holland verlängert den Ausnahmezustand um 3 Monate! Das bedürfte einer Analyse und auch eines wissenschaftlichen Kommentars. Die Reflexe der Sicherheitsbürokratie sind vorhersehbar, werden aber kaum diskutiert, dabei hat auch der hysterische Fokus auf Sicherheit, woran auch die Wissenschaft über die vielen Sicherheitsforschungsprogramme beteiligt ist, andere Pfade der Konflikterkennung und damit vielleicht auch Lösung vernachlässigt oder sie waren politisch und wirtschaftlich weniger attraktiv.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich hege für die Attentäter keinerlei Sympathien ( teile meine Fantasien hierzu dennoch nicht mit), kann aber aus meiner Perspektive sagen, dass ein Fokus auf diese Schwachköpfe als radikalisierte Einzeltäter im Auftrage des IS, langfristig keine Gewinn bringen wird. Diese Individualisierung ist das beste Argument für weitere Überwachung und andere Sicherheitsmaßnahmen, von der rhetorischen Geiselhaft, in welche die Flüchtlingsdebatte genommen wird, gar nicht zu sprechen. Von einer geopolitischen Ästhetk, wie sie Fredric Jameson entworfen hat, ist wenig zu sehen. Die Bombardisierung des IS erscheint ebenso hilflos, wenn auch kurzfristig wirkungsvoll, wie der anhaltende Festungsbau um Europa und auch in und zwischen seinen Ländern. Die Zusammenhänge zwischen Paris, den Flüchtlingen, den Kriegen im Nahen Osten und Zentralasien, dem Öl, den Geldern, der Korruption, fehlgeleiteter Identität, hilflosen Debatte über Religion, Einwanderung und dem Wunsch mehr, denn weniger Kontrolle auch der eigenen Bevölkerung zu erlangen, werden selten klug gestellt. Im Wirtschaftsteil der FAZ (Kommnetar: Guter Terror, schlechter Terror, von Bernd Freytag 18.11.2015) werde ich fündig. Denn da geht es um die Frage nach Geldflüssen, Beteiligungen auch von Katar und Saudi-Arabien und die Verbindungen zum Terror. Selten findet man diese Analysen auf den vorderen Seiten der Zeitungen oder in den intellektuell mehr als quälenden Diskussionen im Fernsehen, schon gar nicht äußern sich Politiker hierzu. Panzer nach Saudi-Arabien, Freundschaft mit Israel als Staatsräson – wie geht das zusammen?

Wenn Wissenschaft etwas beitragen kann zu der Debatte, dann nicht (allein) die Einschätzung von Technologien und ihrer Verträglich mit dem Datenschutz oder was das “mit den Menschen macht” (eine ohnehin doofe Frage), sondern wie die Zusammenhänge sind, auch die nicht auf den ersten Blick ersichtlichen. Es gilt die Realitäten hinter den Realitäten (Luc Boltanski) zu erkennen und zu benennen. Dazu gehört auch was padeluun so prägnant formuliert hat: “Da das mit dem Sicherheitswahn anscheinend nicht funktioniert, sollten wir’s dringend mit Friedens(bildungs)arbeit probieren”

Sicherheit und Überwachung sind Zwillinge der Debatte, und die kritische Erforschung von Überwachungs- und Kontrollstrategien, gern auch über den Einstieg Technologie, aber ebenso die Beobachtung von der Geheimdienste, der politischen Verflechtungen und ihrer begleitenden Rhetorik gehören dazu. Solide Analyse, rationale Beschreibung als Grundlage von Kritik sollte unser Geschäft sein, der Hintergrund, nicht die Fassade, auch wenn es dann manchmal zynisch erscheinen mag, z.B. wenn die instrumentaliserte Trauer zum Gegenstand der Analyse wird. Beirut und Paris sind vereint in der Trauer, nur hier wie dort sehen das nur wenige so. Paris ist wieder eine günstige Gelegenheitg mit dem Schrecken Politik zu machen, wie seit 2001, 2004, 2005 und jetzt zum zweiten Mal in Paris. Ob jemals die richtigen Schlüsse gezogen worden sind, ist fraglich. Als Gegenfolie muss man sich nur das unerträgliche Gezerre um die Aussagen des Verfassungsschutzes im Falle NSU anschauen oder den Skandal um die NSA (wo waren die eigentlich in Paris?).

Nein, es geht nicht um Verschwörungstheorien, sondern um die Vernebelungstaktiken, um die Sicherheitsrhetorik und damit auch die Logiken, unter denen Wissenschaft dazu betrieben wird. Der IS ist ein Problem und menschenverachtend. Sie zu bekämpfen ist richtig. Die Wahl der Mittel möchte ich nicht in allen Fällen entscheiden müssen. Aber Kritik an den Mitteln, alternative Vorschläge, Analysen an Maßnahmen, die unsere Freiheiten beschränken müssen auch weiterhin möglich sein. Ich verabscheue den Terror und den Profit, der daraus gezogen wird, basierend auf staatlichen Allmachtsfantasien der Beherrschung der Situation, der Gesellschaft, die momentane Kriegsrhetorik eingeschlossen. Es geht auch darum Alternativen zu finden, die einen Ausweg aus dem eingeschlagenen Pfaden zeigen könnten – eine mehr strukturell, geopolitisch verankerte Debatte über Terrorismuss könnte z.B. ein Weg sein, eine wissenschaftliche Analyse, die nicht klein-klein auf die so beliebten Regierungstechniken setzt, sondern ein größeres Bild in den Blick nimmt ein weiterer. Grundsätzlich aber muss auch nach Paris, Beirut und anderen noch folgenden Attentaten Analysen und Kritik möglich sein, die sich um beides kümmert: Terror und seine Gegenmaßnahmen wie Überwachung: beides betrifft immer alle!

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