Rezension: Transparenztraum

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Manfred Schneider: Transparenztraum. Literatur, Politik, Medien und das Unmögliche, Matthes & Seitz Berlin 2013, 342 S.

von Susanne Krasmann, Hamburg.

Wir leben heute in der „Transparenzgesellschaft“, so konstatiert der Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han in seiner viel beachteten kleinen Schrift mit dem gleichlautenden Titel. Der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider knüpft daran an und setzt mit der Titelwahl seines Buches einen weiteren Akzent: Transparenz ist heute ein weit verbreitetes Begehren, aber sie ist unerreichbar und kann „immer nur in Aussicht gestellt werden“ (S. 14). Transparenz ist ein Traum und als solcher illusionär, zuweilen auch mit fatalen Folgen: wenn Transparenz zum obersten Prinzip einer Politik der Offenlegung erhoben wird, als würden sich damit alle weiteren Probleme von selbst erledigen; oder wenn die Allgegenwart der digitalen Medien, gleichsam in Neuauflage der „platonischen Urbilder“, den ungehinderten Zugang zu allen Bereichen des Lebens verspricht. „Der Transparenzwahn ist ein Medienwahn“, aber er ist auch ein „Wahn der Medienlosigkeit“ (S. 15). Schneider spielt damit zunächst auf die Vielzahl der „drahtlosen Weltkontakte“ an, in denen Kommunikation sich heute vernetzt sieht. Doch hier wird der Autor ungenau. Denn drahtlos sind unsere „Rechner, Mobiltelefone, Tabletcomputer, TV-Geräte“ ja keineswegs zwangsläufig (S. 16). Und ob die virtuelle Welt digital verarbeiteter Daten so immateriell ist, sei dahingestellt. So ist das Internet selbst Medium der Kommunikation und durchaus auf Hardware gestützt. Wie wir spätestens Dank Snowden wissen, ist das keineswegs ein unwichtiges Detail, sind doch die Kabel, durch die unsere E-Mail-Kommunikationen fließen, ihrerseits Angriffspunkt des geheimdienstlichen Abfangens von Informationen.

„Wahn der Medienlosigkeit“ kann man natürlich auch anders verstehen, nämlich als Vorstellung einer Unmittelbarkeit und Unverfälschtheit, in der uns die Wirklichkeit und Wahrheit zugänglich sind. Ohne Medium heißt, ohne dass eine vermittelnde Instanz dazwischen tritt, als könnte Kommunikation und Wahrnehmung selbst ohne unsere Sinnesorgane oder ohne Darstellungs- und Übertragungsformen auskommen: „Der Transparenztraum ist […] der Wunsch nach trugloser, täuschungsfreier Kommunikation. Insofern ist er ein Sprachtraum: die Wörter strikt an die Dinge zu binden, die sie bezeichnen, oder die Wörter durchsichtig zu machen“ (S. 30) Rousseaus Besorgnis über die falsche Wirkmächtigkeit der Sprache, über die Affekte, die sich an gesprochene Worte heften, und über die Überfrachtung der kindlichen Vorstellungen durch einen Wortschatz, der die Erfahrung überschreitet, ist eindrückliches Zeugnis hierfür: „Mehr Begriffe und Ideen als Erfahrungen zu haben, fördert nur Halbweisheit, das supplementäre Wissen, wo uns die Bilder der Dinge mehr als die Dinge selbst verführen.“ (S. 122) In der Attitüde des Wikileaks-Gründers Assange erkennt Schneider das zeitgenössische Pendant. Vollständige Transparenz ist selbst eine Ideologie, die Reales und Symbolisches, Natur und Kultur vermischt (S. 33) und dabei übersieht, dass politische Transparenzforderungen stets verflochten sind mit dem, was sie adressieren. Das (Staats-)Geheimnis lebt gleichsam davon, dass es einen Dritten gibt, der es wissen und aufdecken will. So kann der Transparenztraum auch zum Albtraum werden, zum Terror vermeintlicher Aufklärung (S. 20), Offenlegung und Offenbarung, der von der Gewissheit der eigenen Richtigkeit und zugleich dem fatalen Ideal der gesellschaftlichen Reinheit und Reinigung von allem Schädlichen geprägt ist (S. 126).

Schneiders „Transparenztraum“ ist unbedingt ein lesenswertes, ansprechend und anschaulich geschriebenes Buch. Es lebt von den vielfältigen Beispielen, ja Fundstücken, einer Kulturhistorie der Transparenzmetapher, die sich von der Antike bis zur Gegenwart, der Philosophie bis zur modernen Architektur mit ihrer Glasarchitektur und ihren Sozialutopien und vom Transparenztraum bis hin zum „Transparenzschrecken“ im Drogenkonsum oder Kino erstreckt. Zuweilen überzieht der Autor die Transparenzmetapher jedoch – und schmälert damit den Erkenntnisgewinn, wenn letztlich alles, was mit Sichtbarmachen zu tun hat, dem Transparenztraum zugeschlagen wird. Ob dann die „Liebe als Passion“ bei Rousseau in ihrer Erfahrung der Unmittelbarkeit zugleich auch die „falschen Worte“, die sie überdecken oder verfälschen, „durchsichtig“ macht, während sie selbst sich „in der Tiefe der Transparenz zeigt“ (S. 111f.); oder ob Freuds Ambition, das Unbewusste lesbar zu machen, zugleich ein Versprechen ist, „die Wörter, Neurosen, Traumzeichen durchsichtig zu machen“ (S. 222): Hier wird ein zeitgenössisch trendiges Vokabular auf Phänomene übertragen, die sich doch weitaus vielschichtiger darstellen.

Schneider übernimmt die Denkfigur, die sich auch etymologisch nachvollziehen lässt: Transparent ist „durchscheinend“ oder „durchsichtig“, wie Glas, Wasser, Luft (S. 12). Das Medium wird in seiner Durchsichtigkeit selbst unsichtbar, doch es verschwindet nicht. Vielmehr werden wir seiner nicht gewahr und erkennen nicht, dass es ohne Medium überhaupt kein Sehen und auch kein Sichtbarmachen gibt. Allerdings bedarf es dafür dessen Durchsichtigkeit nicht. So ist auch Transparenz selbst schon ein Mittler, und um Transparenzforderungen nachzukommen, bedarf es notwendig der Übermittlung und Darstellung. Gerade deshalb kann die Forderung nach Transparenz auch zum Gegenteil des Intendierten führen: zu immer mehr Performance in ihrem Namen, ohne den versprochenen Gewinn an Durchschaubarkeit und Erkenntnis. Wenn aber Transparenz umgekehrt Durchsichtigkeit ist, dann müsste vollständige Transparenz sich selbst aufheben: Wo alles transparent ist, ist nichts mehr sichtbar. Wie schön wäre es, wenn das auf die vielbeschworene Metapher vom gläsernen Menschen der Überwachungsgesellschaft zutreffen würde. Doch der gläserne Bürger ist gerade nicht durchsichtig, sondern sichtbar. Er wird durchleuchtet, und die Befürchtung ist: auch durchschaubar, ohne Geheimnisse, ohne Privatheit. Wäre er nämlich durchsichtig, könnte er vielleicht unwahrnehmbar werden – und sich der Kontrolle entziehen.

Susanne Krasmann, Hamburg

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