Die Kundenkarte – ein Selbstgespräch

Ich will euch diesen Text nicht vorenthalten. Entstanden aus Anlass von Thomas Hengartners 50. und unserer “Sonderausgabe” der Zeitschrift Vokus. Viel Spaß.

Die Kundenkarte – ein Selbstgespräch, aufgezeichnet von Nils Zurawski.

Ich werde nur benutzt, seit Jahren schon. Schön sehe ich aus und einkaufen kann ich. Was mehr kann ich von meiner Existenz erwarten. Dabei wird übersehen, dass ich auch etwas kann, ein Partner der Menschen bin – nicht nur Werkzeug, Artefakt oder technisches Ding. Was mich zu der Frage bringt, was ich eigentlich wirklich bin: Technik, Technologie, Mittelpunkt eines Diskurses, materielles Ding, Verkörperung eines immateriellen Etwas. Manche sagen gar ich könne nicht handeln, andere trauen es mir zu, so wie dieser Franzose … La… La… La-was-auch-immer. Und dessen Kollege, dieser Glatzkopf, sagt, ich könnte auch eine Selbsttechnologie sein – aber damit kann ich persönlich nichts anfangen. Ich kann für mich so allein und mit mir selbst so nichts anfangen. Ich existiere hier in Bezug auf andere – dann lebe ich auf. Obwohl einkaufen eigentlich auch mir einen Riesenspaß macht. Dann komme ich wenigstens mal an die frische Luft. Mir persönlich geht es dabei noch ganz gut, das Portemonnaie ist geräumig. Dennoch muss ich es mit rund 10 weiteren Karten teilen – manchmal, wenn es vorübergehend eng wird, auch zu zweit in einer Stecktasche, das ist dann nicht so schön.

Die Kreditkarte von dieser einen Bank ist so‘ne schicke mit Lametta vorn drauf, die macht sich dadurch ganz schön dick. Neben der zu liegen ist nicht immer vorteilhaft. Ihre kleine verwandte, die EC-Karte ist da schon besser. Die hat auch nicht so eine lange Zahlenreihe aufgestanzt, die einen immer ärgert. Dafür ist sie ganz schön zickig, redet oft nicht mit dem Lesescanner oder der nicht mit ihr. Diese Scanner sind auch echt eigene Typen, ich kenne da auch einige. Bruno und seine Aktanten – manchmal hören die einfach nicht zu, oder wollen nicht. Die meinen ohne sie ginge gar nichts, pah!. Wie auch immer die EC-Card liegt immer ganz vorn und kommt ständig raus. Was die alles zu sehen bekommt – kein Vergleich zu mir. Aber ich bin auch eher der ruhigere Typ, obwohl beim Einkaufen schon eine große Nachfrage nach mir herrscht. Da sind andere Kundenkarten, die ein kärgeres Dasein fristen.

Das gilt nicht für diese Wichtigtuerin von der der Bahn – oh Mann, ist die eingebildet. Ganz in weiß, mit Bild drauf und mit richtig Prozenten. Muss man ja auch kaufen. Und was ein Geschiss, wenn die mal nicht dabei ist – dann ist aber was los, zum Beispiel in der Bahn. Dann hat sie sich zu Hause wieder mal verkrümelt und wollte nicht mit. Und unterwegs werden wir alle dann wild aus dem Portemonnaie gezogen, durcheinander gewirbelt, unachtsam auf den Tisch gelegt, hin- und her gedreht und dann ganz falsch einsortiert. Neulich war ich doch tatsächlich mit so einer billigen Papp-Stempelkarte zusammen in einem Steckfach. Die sah schlecht aus. Verbogene Ecken, Kaffeefleck, und voller Tätowierungen. Naja, die war fast voll, lange bleibt die nicht mehr. Alles was die kann, ist eine Tasse Kaffee organisieren, keine Punkte, keine Boni, keine tollen Geschenke. Tagelang war das so, bis wieder Ordnung ins Portemonnaie gebracht wurde. Ich selbst habe einen eleganten Magnetstreifen auf dem Rücken und vorn eine schönes Blau. Mit Bild, das wollte ich nicht, das ist etwas sehr kitschig – vielleicht noch ein Bild von den Kindern oder seiner Frau, geh mir weg!

Nein, das Blau ist schön, changiert, hat so einen schönen Verlauf, das trägt man jetzt. Dann der Schriftzug – das hat nicht jede. Nicht wie diese plumpe gelbe Karte. Mann ist die hässlich, fast billig. Da würde ich mich gar nicht raus trauen. Das wäre doch peinlich, für mich und für ihn auch, was meinen Sie? Die macht mehr Geld, ja klar. Da kauft man auch schon mal  ein paar große Sachen ein, und es gibt einen Kaffee umsonst dazu. Na, wenn es das ist. Mir ist wichtig, dass ich vor allem loyal bin – zu den Kunden und zum Unternehmen. Man hat ja auch seinen Stolz. Mir werden immerhin Briefe geschrieben, wenn ich Umsatz mache. Dafür lasse ich mir den Magnetstreifen schon mal ganz gern auslesen. Macht doch auch Spaß! Und das kitzelt auch immer so neckisch.

Datenschutz, Datenschutz, höre ich die komischen Vögel immer schreiben. Ja was denn, ich passe doch auf. Was kann ich dafür, wenn die anderen Karten so redselig sind. Als wenn ich die einzige wäre. Aber das interessiert doch auch keinen wirklich. Für mich sind das immer sehr schöne Gespräche – man erfährt was von der Welt, tauscht sich aus und verrät den neuesten Tratsch, das machen der Besitzer des Portemonnaies doch auch. Und davon habe ich das meiste noch gar nicht verraten. Also jetzt nicht aufregen. Das meiste behalte ich doch für mich. Oh, ich glaube, ich komme gleich mal wieder dran – ich habe da so ein Gefühl. Mal sehen was es heute gibt. Ich kann die Kasse schon hören, und die Kassiererin:

„Haben Sie eine Kundenkarte?“

Na geht doch. Herrlich. Für die Momente lebt man. Technik, Technologie, die haben doch keine Ahnung.

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