Month: Juli 2010

Urteil: Videoüberwachung zum Teil unzulässig

Ein Gericht in Hamburg hat entschieden, dass Videoüberwachung nur in eingeschränktem Maß (ndr.de) zulässig ist. Ob das hier nur ein besonderer Fall einer Anwohnerin ist oder das Urteil darüber hinaus Wirkung haben wird, wird sich zeigen. Da aber klar ist, dass Videoüberwachung im öffentlichen Raum vor allem eine politische Maßnahme ist, die nicht unbedingt so wirkt, wie verkauft, können wir davon ausgehen, dass auch weiterhin auf das Mittel zur Bekämpfung von allem Möglichen gesetzt wird.

Kameras: Wildwuchs, Diskurs: Stillstand

SPIEGEL Online hat einen Artikel über Videoüberwachung in Berlin: Kameras außer Kontrolle. Viele Neues steht nicht drin: Keine “Kriminalschwerpunkte” im Berliner ASOG, Zahl der Kameras seit Jahren steigend, keine zentrale Meldepflicht, die meisten Kameras ohne Hinweise, viele Kamerasignale unverschlüsselt, also “anzapfbar”, kaum präventive oder repressive Wirkung des Einsatzes, keine Evaluationen, die Politik gibt sich dennoch überzeugt, usw.

Am Ende steht: “Kameras sind kein Allheilmittel.” Den Satz hat man schon zu oft gehört, als dass er noch sinnvoll wäre. Die Technik entwickelt sich weiter, die Kameras breiten sich aus, aber der Diskurs darüber scheint stehen zu bleiben – man sagt oder schreibt halt, was man immer sagt oder schreibt. Warum ist das so?

Schlimmer noch: Zugleich setzt der SPIEGEL einen Link von einem scheinbar “kritischen” Artikel auf einen Hintergrundartikel eines Vertreters des thüringischen Innenministeriums, der munter Klischees und Mythen weiter verbeiten darf, u.a den so beliebten wie falschen Zusammenhang zwischen “Kriminalität”, “Vandalismus”, “sozialen Randgruppen”, der “Verwahrlosung öffentlicher Orte” und dem berühmten “Sicherheitsgefühl der Bevölkerung”. Oder, dass  ausgerechnet die Pilotprojekte in Brandenburg als Beweis für die Nützlichkeit von Ãœberwachung gelten dürfen, dabei wurde sie teilweise sogar wgene Erfolgslosigkeit wieder eingestellt. Oder dass sich mit Hilfe von Videoaufzeichnungen “rasch Geschehensabläufe rekonstruieren und Tatverdächtige identifizieren” lassen usw., bla bla bla…

Update: SPIEGEL Online legt mit einem (ähnlich lieblos recherchierten) Artikel über CCTV in London nach: Big Brother sieht sich satt.

Update (2): Nun auch ein Artikel über New York. Der Autor behauptet, der so genannte “Ring of Steel” in London, “ein Hightech-Kordon”, bestünde “aus schätzungsweise einer Million Kameras”, eine viel – gigantisch – zu hoch gegriffene Ãœbertreibung/Schätzung. Die genaue Zahl der Kameras, die dem “Stahlring” zugerechnet werden können (und diese Zurechnung ist an sich schon ein Problem; der “Ring of Steel” ist kein einheitliches CCTV-System, sondern eine martialisch-blumige Umschreibung für eine Kombination verschiedener,auch baulicher Maßnahmen in der City of London,  ANPR-Kameras machen nur einen Teil davon aus) liegt wohl eher zweischen ein- und dreitausend; vgl. Jon Coaffees exzellent recherchierten Aufsatz.

Videoüberwachung und Ethik

Auf DeutschlandRadio Kultur gab es ein Interview zu den ethischen Grenzen der Videoüberwachung. Angesiedelt ist es im Projekt “MuVit – Mustererkennung und Video-Tracking. Sozialpsychologische, soziologische, ethische und rechtswissenschaftliche Analysen” (darüber hatte ich hier bereits geschrieben).

Regina Ammicht Quinn, die Leiterin des Projektes:

“Wir haben jetzt im Vorfeld die Chance, während der Technikentwicklung zu überlegen: Welches wären denn innerhalb dieser Technikentwicklung die ethisch relevanten Punkte? Gibt es da welche? Kann eine Technik so oder entwickelt werden? Es ist nicht ethisch relevant, ob der Knopf grün oder blau ist. Aber es ist unter Umständen ethisch relevant, welche Vorrichtungen tatsächlich da sind. Wie, auf welche Art und Weise diese Aufmerksamkeitslenkung passiert. Oder sozusagen welche Grundbegriffe oder welche Grundurteile so einer Mustererkennung zugrunde gelegt werden.

Die Arbeit an solchen Projekten ist nicht ehrenrührig, aber zumindest schwierig, denn da könnten insbesondere kritische Wissenschaftler unter Umständen in Zwiespälte geraten, die man so offen einmal thematisieren sollte. Ich selbst habe mir eine Teilnahme an einem anderen BMBF Sicherheitsprojekt daher länger überlegt und dann zugesagt. Die Gründe erläutere ich, wenn das Projekt startet.

Neue Ausgabe von Surveillance & Society

Volume 7  | Number 3/4
edited by Valerie Steeves and Owain Jones

unter anderem mit Artikeln von

  • Gary Marx and Valerie Steeves – ‘From the Beginning: Children as Subjects and Agents of Surveillance’
  • Angie C Henderson, Sandra M Harmon and Jeffrey Houser – ‘A New State of Surveillance? An Application of Michel Foucault to Modern Motherhood’
  • Anna Sparrman and Anne-Li Lindgren – ‘Visual documentation as a normalizing practice: a new discourse of visibility in preschool’
  • Micheal Gallagher – ‘Are schools panoptic?’
  • Mike McCahill and Rachel Finn – ‘The Social impact of Surveillance in Three UK Schools: Angels, Devils and Teen Mums’
  • Ian McIntosh, Samantha Punch, Nika Dorrer and Ruth Emond – ‘”You don’t have to be watched to make your toast”: Surveillance and Food Practices within Residential Care’
  • Lynne Wrennall – ‘Surveillance and Child Protection: De-mystifying the Trojan Horse’
  • Craig Osmond – ‘Anti-social behaviour and its surveillant inter-assemblage’
  • Tonya Rooney – ‘Trusting Children: How do surveillance technologies alter a child’s experience of trust, risk and responsibility?’