Month: März 2009

Neue Artikel zu CCTV und anderem

In der neuesten Ausgabe des European Journal of Criminology (March 2009, Volume 6, No. 2) gibt es folgende Artikel, die sicherlich interessant für den einen oder anderen oder uns alle sind.

  • Benjamin J. Goold: Editorial: Making Sense of Surveillance in Europe
  • Ian Brown and Douwe KorffTerrorism and the Proportionality of Internet Surveillance
  • Daniel Neyland: Who’s Who?: The Biometric Future and the Politics of Identity
  • Leon Hempel and Eric Töpfer: The Surveillance Consensus: Reviewing the Politics of CCTV in Three European Countries
  • David Murakami Wood: The `Surveillance Society’: Questions of History, Place and Culture

Die Artikel sind wahrscheinlich nur über Anschlüsse von Universitäten frei verfügbar, ansonsten kostet der Zugang. Andererseits gibt es dieses Journal vielleicht auch in der Bibilothek.

Von den Tücken kriminalistischer Wunderwaffen

Viele werden sicherlich schon vom “Phantom von Heilbronn” gehört haben, einer Unbekannten, die verdächtigt wird, 2007 eine Polizistin in der gleichnamigen Stadt getötet zu haben. Nachdem im Laufe der letzten Jahre an mehr als 40 Tatorten anderer Straftaten DNA-Spuren der unbekannten Frau aufgetaucht waren, ging die Polizei davon aus, dass es sich um eine Serientäterin handelt. Zudem musste der Fall auch immer wieder dafür herhalten, Rufe der Kriminalisten-Lobby nach einer Ausweitung der strafprozessualen Vollmachten zur Erhebung und Speicherung von DNA-Profilen in der BKA-Datenbank zu rechtfertigen. Nun könnte sich die jahrelange Gespensterjagd allerdings als Farce herausstellen.

Wie Spiegel Online berichtete, prüfen die Ermittler inzwischen, ob vielleicht die zur Sicherung der Tatortspuren eingesetzen Wattestäbchen fremdverunreinigt waren. Skeptisch wurde man, als überraschenderweise bei der erkennungsdienstlichen Untersuchung der verbrannten Leiche eines 2002 verschwundenen Asylbewerbers die gleichen DNA-Spuren auftauchten.

Aber eine “Wunderwaffe” bleibt eine Wunderwaffe – gilt es doch nur sie richtig zu bedienen. Um Möglichkeit von Falschanalysen wegen Verunreinigungen auszuschließen, schlug ein Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in den Stuttgarter Nachrichten umgehend vor:

Die Hersteller sollten den Packungen DNA-Merkmale der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen. Damit könnte diese Spur gleich ausgeschlossen werden.

Mal sehen was die Betroffenen davon halten. In der Schweiz zumindest verweigern sich Polizisten, die ja ebenfalls Verursacher von Fremdverunreinigung sein könnten, bisher standhaft einer Erfassung.

Das die Tendenz zur Ausweitung der Ãœberwachung immer auch ihre Ausnahmen kennt, zeigt sich auch an der jüngst vom Europäischen Parlament abgesegneten Aufnahme und Speicherung biometrischer Merkmale in Visa und das korrespondierende Visa-Informationssystem (VIS). Zwar sollen sogar selbst Kinder ab 12 Jahren erfasst werden, Staatsoberhäupter und Angehörige von Königshäusern sind allerdings ausgenommen. Wie hieß es doch so schön in Orwells “Farm der Tiere”: “Some animals are more equal …”

Naturschutz mit RFID

Bienen als Umweltdetektive – ausgerüstet mit RFID-Chips, die die Umwelt nach Schadstoffen absuchen sollen. Nun sind Insekten und andere Tiere schon immer ganz gute Indikatoren für Veränderungen in der Natur – aber in diesem Fall gibt es eine neue und nicht uninteressante Verbindung von Lebewesen und Mini-Robotern.

Worum geht es in dem neuen Projekt? Vor allem wird der Fleiß der Bienen ausgenutzt. „Jedes Bienenvolk benötigt etliche Quadratkilometer Platz für sich”, erklärt Professor Tautz. Auf diesem Gebiet besuchen die Tiere jede Blüte. Auf dem Rückweg klebt Blütenstaub an ihnen. Um den abzustreifen, haben die Forscher am Einflugloch des Bienenstocks eine Röhre mit Bürsten angebracht. Der Staub wird dann automatisch auf seine Zusammensetzung analysiert. So können Hinweise auf Giftstoffe entdeckt werden – die Biene wird zum Umweltdetektiv. Doch woher weiß man, welcher Teil der großen Wiese betroffen ist?

Überwachung muss ja nicht immer nur im Kontrollwahn enden, oder welche Konsequenzen lassen sich hieraus lesen. Der Begriff Überwachung ist wie so oft zu allgemein und oft unzutreffend für die zu beschreibenden Phänomene, z.B. im Bereich von Naturüberwachung und bei solcher und ähnlcher Forschung.

Informationsfreiheit und ihre Umsetzung

Informationsfreiheit ist wertlos, wenn sie nicht in Anspruch genommen wird. Während die deutsche Website befreite-dokumente.de des Chaos Computer Clubs (CCC) wohl als Reinfall bezeichnet werden muss, findet man in den USA durchaus Modelle, die die unkomplizierte Suche in Dokumenten anbieten, die unter den Freedom of Information Act (FOIA) fallen. Die Electronic Frontier Foundation (EFF) hat nun ein neues Tool vorgestellt, welches die Suche in tausenden von “befreiten” Dokumenten ermöglicht.

Tagung: Preventionism, Surveillance and Protest

Preventionism and Obstacles for Protest in the Era of Neoliberalism. Linking Protest Research and Governementaliy Studies

Congress-Panel, Congress “Shaping Europe in a Globalized World?-
Protest Movements and the Rise of a Transnational Civil Society?”

Chair: Dr. Peter Ullrich, University of Leipzig

Panel Description:

„Prevention“ is one of the keywords of the contemporary Zeitgeist (cf. Bröckling et al. 2004: 210). It is common knowledge, that it is better to prevent than to heal and rightly so! But prevention can also be understood as a means of power and governing. The recent predominance of preventive strategies in highly different fields of society like health care, criminal law, human ressource management, and international politics and policing protest is astounding. …

Workshop: Sport-Megaevents und Ãœberwachung

Call for paper proposals for a workshop on “The Surveillance Games” Simon Fraser University at Harbour Centre, Vancouver, BC. November 20-22, 2009

Mega-events such as the Olympic Games, the FIFA World Cup, and high profile political summits such as the G8 and World Trade Organization meetings have all been identified as primary targets for terrorist attack and have undergone extensive security and surveillance transformations as a result. Mega-events now serve as focal points for security and surveillance proliferation. They are microcosms of larger trends and processes, through which we can observe the complex ways security and surveillance practices are implicated in unique confluences of technology, institutional motivations, and public-private security arrangements.

Die Frist endet am 31. März.

Videoüberwachung als Fakt, Fiktion & Mythos

Kammerer, Dietmar 2008: Bilder der Überwachung, Frankfurt: Suhrkamp, ISBN 9783518125502, 284 S., 13 €.

rezensiert von Peter Ullrich

Dietmar Kammerer verfolgt mit seiner 2008 bei Suhrkamp veröffentlichten Dissertation einen spannenden und längst überfälligen Ansatz, Videoüberwachung einmal anders „zu lesen“ (um gleich die poststrukturalistisch-kulturwissenschaftliche Diktion des Autors aufzugreifen). Bisher wurden Kameras v.a. im polizeilichen und kriminologischen sowie im stadtsoziologischen und datenschützerischen Diskurs entweder als Heilsbringer gegen jedwede Form von Kriminalität oder Unordnung überschätzt oder aber als wirkungslos und zudem für die Freiheit bedenklich kritisiert. Die zweite (zudem auch empirisch deutlich besser fundierte) Position hatte immer mit dem Problem zu kämpfen, dass ihr rationalistischer Einwand gegen die Überwacher und deren Schein- und Pseudoargumente so machtlos blieb. Man kann das vorliegende Buch als einen Versuch verstehen, dieser Frage, warum es trotz allem so viel Videoüberwachung gibt, auf den Grund zu gehen (S. 84).

Die bunte Welt der Biometrie

Eigentlich wollte ich einen Bericht von einer wirklich interessanten Konferenz zum Thema Biometrie in Potsdam schreiben. Aber für einen ausführlichen Kommentar reicht die Zeit nicht. Die Mischung aus Technikern und Entwicklern, deren Ideen und auch ihren Einschätzungen wofür man die Verfahren nutzen kann, wie gut und sicher sie sind – und den Philosophen, Kulturwissenschaftlern, Psychologen und Soziologen mit ihren zumeist kritischen Beiträgen war gelungen. Ich habe zumindest etwas gelernt darüber, wie Kinder Gesichter wahrnehmen und vor allem wiedererkennen und in welchen Zusammenhängen biometrische Verfahren in der Geschichte standen. Hier haben vor allem Mitblogger Dietmar Kammerer und Susanne Regener sehr gute Vorträge gehalten.

Bei den Philosophen hat mich Lambert Wiesing davon überzeugt mehr auf den Unterschied von Eigenschaften und Funktionen bei Dingen zu achten. Eine Unterscheidung, die bei der analytischen Betrachtung von Dingen und Zusammenhängen besonders des Technischen von elementarer Bedeutung sind. Begeistert haben mich wie viele die Bilder von Christian Mahler in seinem Projekt Eigenface. Wobei die Begeisterung sich mit montröser Faszination mischte, denn die gemittelten Bilder sehen halt aus wie Zombies. Wenn das die Zukunft der Biometrie ist…. und die Frage stellt sich hier: ist das noch ein Bild und wenn ja, welches Phantom ist darauf zu sehen und was heißt das eigentlich für unser Verständnis von Bild, Abbild und die darauf beruhende Ãœberwachung und Kontrolle, die sich z.B. bei der Videoüberwachung so sehr auf die Authentizität von Bildern verlässt.

Die Zukunft kann aber auch ganz anders aussehen und nicht Gesichtserkennung heißen, sondern viel eher DNA, woraus sich dann eventuell auch Gesichter erkennen lassen – zumindest die Zeit hatte noch rechtzeitig für meinen Vortrag in Potsdam einen Artikel zu Verfahren wie Fahnder das Aussehen von Verdächtigen mit DNA bestimmen können. Die Implikationen solcher Verfahren sind noch nicht bis zum Ende gedacht – vielmehr ist es ein Graubereich, sowohl rechtlich als auch was die Konsequenzen solcher Verfahren für die betroffenen im Speziellen und alle anderen im Besondern angeht.

Neue Ausgabe von Surveillance & Society

New Issue Out Now!  Health, Medicine and Surveillance
– (edited by Sarah Earle, Pam Foley, Carol Komaromy, and Cathy E. Lloyd)

Featuring articles by:
– Martin A. French – Woven of War-Time Fabrics: The globalization of public health surveillance
РSusanne Bauer, Jan Eric Ols̩n РObserving the Others, Watching Over Oneself: Themes of medical surveillance in post-panoptic society
– Sarah Weibe – Producing Bodies and Borders: A review of immigrant medical examinations in Canada
– Cheryl Day – Does my bum look big in this? Reconsidering anorexia nervosa within the cultural context of 20th century Australia
– Mebbie Bell – ‘@ the doctor’s office’: Pro-anorexia and the medical gaze
– Emma Rich and Andy Miah – Prothetic Surveillance: The medical governance of healthy bodies in cyberspace

and lots of book reviews…

Noch ein Buch: Kontrollverluste

Leipziger Kamera (Hrsg.), Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung, 1. Auflage, März 2009, Unrast-Verlag, Münster, ISBN 978-3-89771-491-5, 256 S., mit Abbildungen, € 18.

Mit Beiträgen von Andreas Fisahn, Klaus Ronneberger, Peter Ullrich, Matthias Rothe, Peer Stolle & Tobias Singelnstein, Wolf-Dieter Narr, Elke Steven, Ron Steinke, Lars Bretthauer, Ulf Treger, FelS, Andrej Holm, Anne Roth, Critical Art Ensemble, Ulla Jelpke, Matthias Lehnert, Rojin, Peter Nowak, Mag Wompel, Volker Eick, Otto Diederichs, Florian Heßdörfer & Jan Bachmann, Sarah Dellmann, Der Schwarze Block e.V., Sandro Gaycken, Karl M. Burton, Lars Schmid & Jeronimo Voss, Computergruppe H48, Polizeikontrollstelle, New York City Surveillance Camera Players, Activists from Gipfelsoli, LIGNA.

http://kontrollverluste.twoday.net

Am Freitag, 13. März 2009 um 18.00 Uhr wird im el libro/linXXnet, Bornaische Straße 3d, Leipzig das Buch vorgestellt – von den Herausgebern selbst sowie den Autoren Sandro Gaycken, Florian Heßdörfer und Peer Stolle. Im Anschluss laden wir euch ein, mit uns auf unser Buch anzustoßen. Die Buchvorstellung findet im Rahmen des Buchmesseprogramms der Buchhandlung el libro und des linXXnet statt.