Month: März 2007

Berliner Datenschützer. Deutschland auf dem Weg in Überwachungsgesellschaft

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sieht Deutschland auf dem Weg in eine Ãœberwachungsgesellschaft. In einem Bericht der WELT sagt er:

„Wir bewegen uns zunehmend in eine Bewachungs- und Präventionsgesellschaft“, sagte Dix anlässlich der Vorstellung des Datenschutzberichtes 2006. Bislang gelte Großbritannien als Vorreiter im Überwachen seiner Bürger, Deutschland sei allerdings auf dem besten Weg, das Inselreich abzulösen. Mittlerweile sei ein Zustand erreicht, in dem „niemand mehr sicher davor ist, unschuldig in den Streuungsbereich von Überwachungsmaßnahmen“ zu kommen.

Ob das angesichts der mangelnden Gesetzgebung in Großbritannien und der dort vorhandenen drastischen Maßnahmen tatsächlich so vergleichbar ist, auch was die Stimmung und Aktzeptanz angeht, vage ich zumindest in der Qualität zu bezweifeln. Richtig sind sicherlich seine Warnungen, dass wir zunehmend mit einer acht- und rücksichtslosen Atmosphäre konfrontiert werden, was den Umgang mit unseren Daten im Rahmen der Terrorbekämpfung der einer allgemeinen Angststimmung angeht, als auch die zunehmende Gier von Unternehmen alles und jeden in irgendwelchen Datenbanken zu speichern und als Kategorie vorzuhalten.

Massiv seien die Datenschutzverletzungen mittlerweile unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, kritisieren die Datenschützer weiter. „Natürlich muss die Kriminalitätsbekämpfung möglich sein“, so Berlins oberster Datenschützer Dix, „die Sicherheitsbehörden sind aber derzeit derart über das Ziel hinausgeschossen, dass jeder Bürger ohne den geringsten Verdachtsmoment kontrollierbar ist.

Report zu Überwachung, Privatsphäre und Technologie im UK

Die Royal Academy of Engeneering hat einen eigenen Report veröffentlicht, der sich mit den Herausforderungen des technologischen Wandels beschäftigt: “Dilemma of Privacy and Surveillance. Challenges of Technological Change” (pdf).

Advances in technology have the potential to do great good, but they also carry the risk of doing damage if they are introduced without proper care and forethought. One of The Royal Academy of Engineering’s priorities is to lead debate on matters of engineering by guiding thinking, influencing public policy making and providing a forum for the exchange of ideas. This report is a contribution to the public debate on information technology and its possible impacts on our privacy. (aus dem Vorwort des Berichtes).

Ãœberwachungsbilder

Die Website von Nino Leitner, Regisseur der hier bereits mehrfach erwähnten Doku Every Step You Take, aktuell auf dem Filmfestival Diagonale 2007in Graz zu sehen, verzeichnet einige Links auf weitere Filme, Dokus, Kunstprojekte, die allesamt im Netz eingesehen werden können, sehr schön sind und deshalb hier nochmal gelistet werden:

Suspect Nation (45minütige Dokumentation von Channel 4)

Faceless (Spielfilm von Manu Luksch, gedreht nach dem “CCTV Manifesto”, ebenfalls auf der Diagonale 2007)

Stop the Big Brother State (sehr lustiger Animationsfilm von David Scharf)

Forschungsbericht – Videoüberwachung in Hamburg

Jetzt ist es öffentlich: Der Forschungsbericht zum Projekt “Videoüberwachung in Hamburg” ist raus und auf dem Netz verfügbar. Dort sind alle Daten und die Erhebungs-Materialien einsehbar. Ich freue mich über Kommentare und Diskussion.

Die Pressemitteilung dazu ist auf den Seiten der Uni Hamburg einzusehen.

Und auch das Buch “Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes” (Barbara Budrich Verlag) ist auf dem Weg in die Druckerpresse. Darüber mehr wenn es erhältlich ist.

Surveillance Studies Network

Jetzt hat auch das britisch/internationale Surveillance Studies Network eine Webpräsenz – die in nächster Zukunft noch ausgebaut werden soll. Unser kleiner Blog hier und das Forschungsnetzwerk werden dann ein assozierter Teil werden. Bis jetzt hat das Netzwerk, in dem jeder offziell Mitglied werden kann, den Bericht zur britischen Ãœberwachungsgesellschaft herausgegeben und ist für das Journal Surveillance & Society verantwortlich, das leider im Moment mal wieder etwas zurückhängt mit seinen Ausgaben….

Mal sehen was beim SSN in näherer Zukunft noch passiert, ein internationales Forschungsnetzwerk mit entsprechenden Resourcen wäre durchaus angebracht und ein echter Schritt nach vorn im Hinblick auf Wahrnehmung und Akzeptanz von solch thematischer Forschung, u.a bei den Förderinstitutionen, wie z.B. dem neugegründeten European Research Council.

Ãœberwachung der unteren Klassen

Weil hier auf der Seite schon aus dem Feed gefallen, noch mal der Hinweis zum Telepolis-Artikel zu den Ideen der britischen Regierung zur Ãœberwachung und Profiling von Kleinkindern. Ich hatte im Blog schon einmal über die Ideen der prä-natalen Ãœberwachung der britischen Regierung geschrieben. Nun geht es also weiter….

Doch zielt das englische Experiment ja auf Schichten, die sich anders als Bessergestellte gute Kinderbetreuung nicht leisten können. Der staatliche Katalog soll nun dafür sorgen, dass die gute Erziehung zum allgemeinen Standard wird. Ob dies mit solchen Optimierungsstrategien, die an betriebswirtschaftliche Methoden nach der Art von McKinsey erinnern, funktioniert, ist die große Frage. (Thomas Pany bei Telepolis)

Na welch eine Ãœberraschung….

Niedersachsens Innenminister will die Videoüberwachung ausweiten – es reicht jetzt nicht mehr nur an den Kriminalitätsschwerpunkten, sondern auch in den angrenzenden Bereichen – na wer hätte das ahnen können. Und er glaubt auch noch damit ganz vorn zu sein bei der Kameraüberwachung – ein zweifelhafter Sieg, dessen Folgen und Konsequenzen vor allem was den Nachahmungs-Effekt angeht, jetzt schon abzusehen sind: Die Kollegen werden irgendwann dann auch mitziehen.

Mehr als Datenschutz?

Ãœberwachungsstaat oder nicht? Wohin gehen wir und wer mag das abschließend und vor allem empirisch bewerten? Angesichts eines Postings auf get-pricacy.info, in dem Peter Schaar für seine zugegebenermaßen manchmal eher weichen Äußerungen zum Thema Datenschutz, arg gescholten wurde. stellt sich mir die Frage, worum es überhaupt geht bei der Beschäftigung mit dem Thema Ãœberwachung. Und: Reichen die bloßen Hinweise darauf wie “böse” der Staat uind die Unternehmen im Umgang mit unseren Daten sind? Nein, das reicht lange nicht. Aber hierzulande wird das Thema Ãœberwachung hauptsächlich durch die Brille des Datenschutzes gesehen – oder als Widerstand gegen Videoüberwachung. Beides ehrenwerte und wichtige Themen, aber für eine wissenschaftliche und darüberhinausgehende gesellschaftlich relevante Beschäftigung mit dem Thema nicht genut. Ãœberhaupt nicht. Und dann reicht es auch nicht aus, als Datenschutz-Aktivist durch die Gegend zu laufen und anhand von ad-hoc Empirie zu meckern.

Forschung zu Ãœberwachung muss vielschichtiger werden, ohne das andere zu vergessen. Ein Telepolis-Artikel gibt zumindest eine Idee für andere Felder der Ãœberwachung und gesellschaftlichen Kontrolle, der sich in unserer Gesellschaft abzeichnen – eine Tendenz zu einer Gesellschaft des institutionellen Misstrauens u.a.. Allgemein ist das theoretische Niveau der Forschung nur teilweise vergleichbar mit dem der britischen und nordamerikanischen Forschung (vor allem Kanada). Hierzulande verändert sich das erst sehr langsam und in letzter Zeit. Für Anregungen und Ideen bin ich dankbar – auch für Diskussionen, die sich einmal mit konkreten Forschungen beschäftigen sowie anderen Aspekten als Datenschutz (der wichtig, aber nicht alles ist).

Eine Anregung zum Mitdenken und mitschreiben.

Härter Strafen und besser verwahren

Um einmal den Blick auf das zu lenken was auch zum Thema Überwachung und Kontrolle fällt, bietet der Hamburger Justizsenator eine gute Möglichkeit. Er will den Strafvollzug verschärfen, den offenen Vollzug zurückfahren und wieder mehr verwahren. Er spricht dabei von einem Schutzbedürfnis der Bevölkerung, dass eben so schwamming, wenn gar tatsächlich gestört sein mag, wie das vielbemühte subjektive Unsicherheitsgefühl im Falle der Videoüberwachung landauf landab.

“Wir haben einen Perspektivwechsel vollzogen und das Schutzbedürfnis der Bevölkerung als wichtigstes Vollzugsziel vorangestellt. Das alte Gesetz war zu täterorientiert”, sagte Lüdemann. Ein offener Vollzug werde es nur noch für Gefangene geben, die “deutlich zeigen, dass sie an einer Resozialisierung interessiert sind”, so der Justizsenator. Die abzusitzende Strafe dürfe dabei nicht höher als zwei Jahre sein. Außerdem müssten die Häftlinge “ausreichend dargelegt haben, dass sie nicht suchtgefährdet sind”. Opfer von Straftaten wiederum sollten das Recht haben, über Entlassungstermin und Vollzugslockerungen informiert zu werden. (NDR Online)

Mir schwant, hier sollen künftig gar die Opfer selbst wieder mit über Strafen und Vollzug bestimmen – das wäre eine fatale Abkehr von unserem Rechtssystem, die diese Art der Justiz aus gutem Grund dem Staat übertragen hat und nicht dem Mob. Die Tendenzen sind aber klar erkennbar, nicht nur hier, sondern auch in den Veränderungen der Strafen, des Straßmaßes und der oft vorrausschauenden Kontrolle, die Kriminalität am liebsten durch ein Verwahren auf Verdacht ausschalten würde. Das ist zwar eher strikte Kriminal-Soziologie, aber dennoch Teil von Ãœberwachung und Kontrolle jenseits von Datenschutz und Technologie. Kritiker sehen darin eher einer Verschlechterung der Haftbedingungen mit langfristigen Konsequenzen: ” Eine Verschärfung ist für die meisten Gefangenen schädlich”.