Month: Februar 2007

SZ, BVG, Evaluationen

Nur zur Dokumentation: Die Süddeutsche Zeitung hat ein Pro und Contra zu Videoüberwachung veranstaltet. Ein Interview mit dem in München für die Kameras zuständigen Kriminalhauptkommissar Stefan Schraut ergänzt den Bericht. Anlass ist natürlich die Entführung und Ermordung des neunjährigen Jungen aus Leipzig, der zusammen mit seinem mutmaßlichen Mörder von einer Kamera in einer Straßenbahn aufgenommen wurde. Die Parallelen zum britischen James Bulger-Fall sind natürlich überdeutlich: Videoüberwachung fängt die Mörder unserer Kinder, so der Tenor. Das bestätigt mal wieder das Muster, dass die Opfer besonders erschreckender Verbrechen für die Lobbyisten der Ãœberwachung herhalten müssen. In seinem hier im Weblog schon mehrfach erwähnten Artikel “A generation is all they need” (im Netz inzwischen leider kostenpflichtig) hat Kevin Haggerty ja genau das vorausgesagt.

Schnüffelei bei Journalisten verfassungswidrig

Als hätten wir es geahnt: Die Aktionen der Staatsanwaltschaft beim Magazin Cicero im Rahmen der BND-Affäre waren verfassungswidrig.  tagesschau.de berichtet umfangreich zum Urteil. Im DeutschlandFunk kritisiert Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung die immer schwieriger werdenden Recherchebedingungen durch zunehmende Überwachung und Geheimniskärmerei. Das Urteil stärke die Arbeit der Journalisten, so die Verleger und Redakteure einhellig.

Kameras verhindern keine Gewalt

Wie die Bundespolizei in Hamburg mitteilte, haben bereits am Sonntag drei Jugendliche, einen Mann auf dem Hamburger Hauptbahnhof niedergeschlagen und so lange auf ihn eingetreten, bis dieser zwischen S-Bahn und Bahnsteig auf die Gleise fiel. Die Beamten verhafteten die Jugendlichen. Soweit die Nachricht.

Jetzt zum Nachdenken: Wie lange dauert es bis man jemanden so zusammenschlägt, dass er in den Spalt zwischen Bahn und Steig durchfällt? Länger als ein Handtaschenraub allemal. Am Hauptbahnhof sind mehr als 100 Kameras aufgestellt (meines Wissens sogar über 150) – diese werden live beobachtet – auch um präventiv tätig zu werden. Was haben die Kameras auf dem Schirm gehabt, was die Operateure gesehen? Leider zeigt sich hier, dass Kameras nicht das halten, was von anderen versprochen wird. Dieser Vorfall dürfte als Gegenargument nicht viel wert sein, aber all denen, die bisher auf die Macht des omnipräsenten Auges vertrauten, kommen vielleicht doch Zweifel, ob die Technik für mehr Sicherheit sorgt – Abschreckung?: in diesem Fall Fehlanzeige. Ein Einzelfall? – vielleicht. Aber auch der ist für das Opfer nicht sehr tröstlich. Ein ehrlicher Umgang mit der Technik “Videoüberwachung” wäre endlich angebracht, echte Evaluationen, und eine Offentheit, die endlich sagt, wofür die Kameras tatsächlich da sind: Aufklärung, nicht Prävention, denn dafür gibt es keine stringenten Argumente und Studien.

Karten und das Verbrechen

Ist zwar schon ein paar Tage her, aber die Nachricht ist immer noch gut: In Baden-Württemberg plant der dortige Innenminister einen Videoatlas zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. Darin enthalten: Möglichst alle vorhandenen Kameras im Ländle, gleich ob öffenntlich oder privat. Und auch nur so hat es einen Sinn, denn die öffentlichen Kameras reichen für eine mehr oder weniger lückenlose Ãœberwachung nicht aus – der Zugriff auf die vielen, vor allem bislang nicht-registrierten privaten Kameras könnte hier einen enormen Sprung nach vorn bedeuten.

Auch wenn es hierzulande noch nicht so verbreitet und bekannt ist: Kartierungen im Bereich der Kriminalistik sind der letzte Schrei und ein machtvolles Instrument – auch um Wirklichkeit zu produzieren und Wahrnehmungen zu steuern. Ganz vorn liegen dabei die Experten der Metropolitan Police in London, wo die deutsche Christine Leist “auf Verbrecherjagd” geht – eine relative unpassende Beschreibung, aber gut…. In Deutschland wird das GLADIS-System auf Basis der von ESRI hergestellten GIS-Software schon seit längerem benutzt.

Wie das Hauptstadtblog berichtet, gibt es auch in Berlin bereits Anstrengungen in diese Richtung, die an ein Projekt der EU anschließen. Für Hamburg macht sich eine Geographin in ihrer Dipom-Arbeit Gedanken zur Kriminalitätserfassung mittels Karten.

Wirklich gute Informationen gibt es beim National Institute of Justice, das für die USA Werkzeuge und Anwendungen zum mapping bereitstellt. Und noch mehr zum Thema gibt es beim Jill Dando Institute for Crime Science in Großbritannien.
Ob und wie effektiv die Karten und Verfahren tatsächlich bei der Kriminalitätsbekämpfung sind, müssen wir abwarten. Dass solche veröffentlichten Karten nicht ohne Wirkung für unser Verständnis der Wirklichkeit bleiben werden, steht schon jetzt fest. Ob sich darüber die Verantwortlichen bewusst sind, bezweifle ich. Spannend und interessant ist das ganze Thema auf jeden Fall…. und zum Ländle bleibt nur zu sagen: Was ein Schnappsidee – zumal das ganze rechtlich höchst bedenklich ist, weniger die Karten, als die ebenfalls geplante Nutzung aller Kameras durch die Polizei.

Karnevals-Biometrie

Gerade bei Don gesehen:

Der Bundesrat hat sich in seiner Plenarsitzung am heutigen Freitag für eine Speicherung von Gesichtsbildern und Fingerabdrücken aus biometrischen Ausweisdokumenten bei der Polizei sowie einen automatisierten Vergleich der höchstpersönlichen Daten mit Fahndungsdatenbanken ausgesprochen.
[…] Nicht weit genug geht dem Bundesrat ferner eine im Bundestag bereits heftig umstrittene Klausel im Regierungsvorstoß, wonach ein Online-Abruf von Lichtbildern durch die Polizei- und Bußgeldbehörden im Ordnungswidrigkeitenverfahren im Straßenverkehr zugelassen werden soll. Die Länderchefs fordern, dass zum einen die Beschränkung auf das Gesichtsmerkmal aufgehoben werden solle. Darüber hinaus wollen sie ein automatisiertes und auf Eilfälle zugeschnittenes Abrufverfahren für die biometrischen Daten in Pässen und Personalausweisen ganz allgemein eingerichtet wissen, wenn dies “erforderlich ist”. Dabei solle es etwa um die “Verfolgung von Straftaten” gehen. Schon die gesetzlich vorgesehenen “umfassenden Aufzeichnungspflichten” über erfolgte Zugriffe würden dabei für eine “effektive Datenschutzkontrolle” sorgen.

(Quelle)

Dort auf die Illuminaten-Blogger aufmerksam geworden – lesenswert.

Feature: Wirtschaftsspionage

Bei DeutschlandRadio Kultur gab es einen wirklich interessanten Bericht zum Thema Wirtschaftsspionage, welches am Rande (oder eben auch durchaus zentral) mit dem Thema Überwachung zu tun hat. Der Text ist auf den Webseiten nachzulesen. Das hier ein ganzer Zweig der Wirtschaft recht ungeschützt hantiert stellt auch der Verfassungsschutz fest:

Woll: “Es gab diesen Abschlussbericht der EU zu dem Abhörsystem Echelon, der ja auch noch mal die theoretische Gefahr dargestellt hat. Man hat aber gesagt, ob es tatsächlich so gelaufen ist, das weiß man gar nicht. Was für mich als Sicherheitsmann viel wichtiger ist, ist, dass man festgestellt hat, dass die europäische Wirtschaft relativ ungeschützt ist gegen solche Angriffe. Deswegen hat das LfV Baden-Württemberg seit langem auch die technische Seite schwerpunktmäßig bedient.” (im Feature bei dradio)

Spionage-Ausstellung in London und die Kritik

Das Science Museum in London präsentiert eine Ausstellung rund um das Thema Spionage – einen passenderen Ort hätte man kaum finden können! Es ist vor allem eine Ausstellung für Kinder mit vielen Aktionen zum Mitmachen.

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Nun ist London nicht nur die Heimat des besten und elegantesten Geheimagenten der Welt – sondern auch die Stadt, in der die tägliche Spionage am Bürger zu ungeahnten Höhen getrieben wurde. Das britische Spyblog macht darauf angesichts einer Rede der Chefin von MI5 zur Eröffnung der Ausstellung aufmerksam. Sicher ist so eine Ausstellung für alle Kinder eine Riesenshow – aber die angemahnte ausgeglichene Darstellung wäre für Eltern als auch für viele Kinder interessant und nicht nur Fehl am Platze. Die Ausstellung läuft noch bis zum September – genug Zeit, mir selbst ein Bild zu machen.

Wieviel Sicherheit vertragen Bürgerrechte und Demokratie?

taz Salon: Gewalt von Rechten und Linken, Islamisten und Polizisten, öffentliche Videoüberwachung und Brechmittel: Der frühere SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage, jetzt Vorstandsmitglied der Humanistischen Union Hamburg, im Gespräch mit Sven-Michael Veit (taz nord hamburg) und dem Publikum über die neue Innere Unsicherheit im Lande.

Termin: Donnerstag, 8. Februar, 20 Uhr
Ort: Kulturhaus 73, Schulterblatt 73, 20357 Hamburg
Eintritt frei

Mehr Staat – Mehr Sicherheit?

Die Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet am 13. Februar 2007 in der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eine Podiumsdiskussion zum Thema:”Mehr Staat – mehr Sicherheit? ” – in der Reihe Moderner Staat. Vom Wandel der Grundlagen zu einem neuen Staatsverständnis.

mit:

  • Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange / Universität Marburg – Vortrag

Podium:

  • Michael Hartmann, MdB / Stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Inneres der SPD-Bundestagsfraktion
  • Dr. Norbert Pütter / FU Berlin Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit
  • Prof. Dr Jürgen Stock / Vizepräsident des Bundeskriminalamtes
  • Moderation: Claudia Venohr, Norddeutscher Rundfunk

Ort: Einstein-Saal, Jägerstraße 22-23, 10117 Berlin
Beginn: 18.00 Uhr